Anatomie, Biomechanik

Warum schmerzt die Außenseite des Kniegelenks?


Die Probleme beim sogenannten Läuferknie macht ein Fasterstrang, der sogenannte Tractus Iliotibialis. Der Tractus iliotibialis ist eine extrem kräftige Faszie, die fast die gesamte Außenseite des Oberschenkels bedeckt. Dieser Faserstrang drückt bei repetitiven Bewegungen wie dem Laufen auf einen Knochenvorsprung des Oberschenkelknochens (sog. Epicondylus lateralis). Im dazwischenliegenden Fettgewebe befinden sich freie Nervenendigungen, die für die Schmerzwahrnehmung verantwortlich sind.

Da dieser Faserstrang für das "Läuferknie" verantwortlich ist, wird es auch Tractus iliotibialis Syndrom genannt - oder englisch: ITBS (Iliotibial Band Syndrom)

Das Tractus iliotibialis Syndrom kann also durch eine Überbeanspruchung des Tractus Iliotibialis hervorgerufen werden. 

Wo genau verläuft der Tractus iliotibialis?


Der Tractus iliotibialis ist per se eine Faszie. Faszien sind im engeren Sinne zarte, bindegewebsartige Netze. Sie hüllen viele Muskeln unseres Körpers ein und sorgen u.a. für die räumliche Trennung verschiedener Muskeln. Auch die Oberschenkelmuskulatur wird von einer tiefen Faszie eingehüllt, der sogenannten Fascia lata. An der äußeren Seite des Oberschenkels ist diese Faszie jedoch dicker und stärker, damit sie die Zugkräfte des Körpergewichts auf die Knochen abfangen kann. Diese Verdickung der Fascia lata wird Tractus iliotibialis genannt.

Funktion des Tractus iliotibialis


Lange Zeit nahm man an, dass diese sogenannte Zuggurtung, also das Verlagern der Gewichtskräfte, die wesentliche Funktion des Tractus iliotibialis ist. Neure Untersuchungen legen jedoch nahe, dass der Tractus iliotibialis auch als "elastischer Energiespeicher" wirken könnte. [1] Dies könnte in der Evolution dem Menschen einen Vorteil in der Ausdauerleistung im Vergleich zu anderen Spezies verschafft haben. Vermutlich ist die ökonomische Fortbewegungsmöglichkeit ein wichtiger Selektionsvorteil gewesen in Zeiten, als Nahrung knapp war. Diese Theorie deckt sich mit der Erkenntnis, dass der Tractus iliotibialis in der menschlichen Spezie vorzufinden ist, nicht aber in anatomisch ähnlich gebauten Affenarten. [1]

Das Prinzip der "Energiespeicherung" lässt sich von Forschern mit folgender These erklären: Zwei Muskeln (TFL, GMax) werden angespannt und ziehen am IT-Band, das sich verlängert. Der Tractus iliotibialis würde auf diese Weise ähnlich wie ein Gummiband wirken: Er wird gedehnt und speichert bei der Verlängerung Energie, die dann beim Verkürzen wieder freigegeben werden. [2] Ähnliche Mechanismen, das weiß auch DER SPIEGEL [3], kennen Forscher schon länger bei anderen Sehen im Körper, z.B. bei der Achillessehne und der Patellarsehne. Es wird vermutet, dass das Vorhandensein solcher Sehnen die Ausdauerleistungsfähigkeit evolutionär begünstigt hat, sodass durch einen geringeren Energieverbrauch die Spezies weite Strecken laufen konnten und somit bspw. einen Evolutionsvorteil in der Nahrungssuche hatten.

Welchen Einfluss hat eine Verkürzung der myofaszialen (Muskel + Sehne) Strukturen auf die Biomechanik?


Eine Anspannung der in das IT Band einstrahlenden Muskeln (insb. Musculus tensor fasciae latea und Musculus gluteus maximus) bewirkt insbesondere eine Beugung und Abduktion der Hüfte. Weitere Funktionen des Tractus iliotibialis lassen sich im übrigen an den Deformitäten ableiten, die bei einer pathologischen chronischen Muskelverkürzung (Kontraktur) entstehen. Ein Krankheitsbild, das eine Kontraktur des Tractus iliotibialis bzw. der beteiligten Muskeln auslösen kann, ist die Kinderlähmung. Durch Spasmen des TFL können langfristig Kontrakturen des IT Bandes entstehen, die mit folgenden Deformitäten einhergehen können:

- Flexion, Abduktion, Außenrotation der Hüfte
- Valgus im Knie
- Tibia Außenrotation, ggf. sogar mit posterolateraler Subluxation
- Hüftschiefstand durch Gewichtsverteilung auf die andere Seite
- Skoliose

Verlauf des Tractus iliotibialis 


Fasern zweier Muskeln im Gesäß- und Hüftbereich (Musculus gluteus maximus und Musculus tensor fasciae latae) strahlen in den Tractus iliotibialis ein und bilden diesen. Der Tractusstrang verläuft dann am gesamten äußeren Oberschenkel in Richtung Kniegelenk (siehe roter Strang in der nebenstehenden Skizze). Dort steht er in enger Beziehung zu einen Knochenvorsprung des Oberschenkels (siehe roter Pfeil in nebenstehender Skizze). An dieser Stelle kommt es zur Schmerzentstehung. Der Tractus iliotibialis endet schließlich am Schienbein (am sogenannten Gerdys Tubercle). Einige Fasern strahlen jedoch in ein seitliches Band der Kniescheibe (Retinaculum patellae) oder in Richtung Oberschenkelknochen aus und inserieren dort. [4]

Gegenstand aktueller Forschung ist nach wie vor, inwieweit es im Bereich des seitlichen Knochenvorsprunges zu einer Entzündungsreaktion kommt. Bei einigen Untersuchungen konnte entzündetes Gewebe nicht festgestellt werden. [5]


[1] Eng CM, Arnold AS, Biewener AA, Lieberman DE. The human iliotibial band is specialized for elastic energy storage compared with the chimp fascia lata. J Exp Biol. 2015;

[2] Eng CM, Arnold AS, Lieberman DE, Biewener AA. The capacity of the human iliotibial band to store elastic energy during running. J Biomech. 2015;48(12):3341-8.

[3] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-28781137.html

[4] http://www.dubinchiro.com/illiotibial_band.pdf

[5] Shamus J, Shamus E. THE MANAGEMENT OF ILIOTIBIAL BAND SYNDROME WITH A MULTIFACETED APPROACH: A DOUBLE CASE REPORT. Int J Sports Phys Ther. 2015;10(3):378-90.

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